Klassische Journalisten-Jobs wie der Kreisliga-Sportreporter verschwinden. Er ist nicht der Einzige. Sind Algorithmen daran schuld?
Von Roland Müller und Christoph Koitka
Algorithmen verändern den Journalismus grundlegend. Mal offensichtlich, mal subtil, von automatisch aktualisierten Beiträgen zu Roboter-Autoren. Protokolle recherchieren in Datenbanken, erstellen Grafiken und schreiben sogar Artikel. Der Leser merkt davon oft nicht einmal etwas. Aber auch hinter dem modernen User-Verhalten stecken Algorithmen, die wissen, was gefällt: In den persönlichen Newsfeed kommt nur, wer für das eigene Leben relevant ist. Das kann ein klassischer Journalist sein, eine Zeitung – oder eben wiederum ein Algorithmus. Wir zeigen, wie weit diese Entwicklung schon ist.
Die Grundlagen: Daten, Daten, Daten
Vor allem die Menge und die Qualität der eingespeisten Daten bestimmen, wie nah der Algorithmus an menschliche Autoren herankommt. Das kann man etwa beim Fußball gut beobachten: Der Chefredakteur von OVB24, Martin Vodermair, setzt für seine Nachrichtenportale beim Amateurfußball auf Algorithmen: „Die Beiträge sind von händisch erstellten Artikeln kaum zu unterscheiden.“ Vodermair glaubt aber nicht, dass automatisierte Protokolle Job-Killer sind – da sich die Berichterstattung über unterklassigen Fußball finanziell kaum lohnt, werden ohnehin kaum mehr freie Mitarbeiter auf die Bolzplätze geschickt. Bei der Münchener Abendzeitung und beim Bayerischen Fußballverband sind automatisch erstellte Texte noch „kein Thema“. Die Qualität sei zu schlecht, die Texte zu hölzern und redundant, heißt es beim Verband. Die Abendzeitung konzentriert sich auf den Profifußball, wo die persönlichen Netzwerke der Redakteure entscheidend sind.
Daten sind auch entscheidend bei Projekten, die über den klassischen Journalismus hinausgehen. Medienhäuser verwenden Algorithmen, um ihren Nutzern ganz neue Formen von Berichterstattung zu präsentieren. Die Stuttgarter Zeitung etwa sammelt seit November 2017 Daten aus fast 750 Feinstaub-Sensoren. Auf einer Karte können sich die Einwohner von Stuttgart und Umgebung live die lokale Feinstaubbelastung ansehen, aufgeschlüsselt nach Stadtbezirken und Kommunen. Wenn ein User einen Bezirk auswählt, wird automatisch ein Text generiert, in den die entsprechenden Feinstaubwerte eigefügt werden. Wenn man einen solchen Feinstaub-Artikel der Stuttgarter Zeitung isoliert liest, ist er auf den ersten Blick nicht von klassischem Lokaljournalismus zu unterscheiden. Die tägliche Aktualisierung und Datenbankrecherche wäre aber von einem Redakteur kaum zu schaffen.
Interaktion: Der Algorithmus, bei dem jeder mit muss
Die ganze Architektur des Internets basiert auf Algorithmen. Dazu gehören soziale Netzwerke, Mediatheken, Blogs, YouTube und Instagram-Accounts. Seit Jahrzehnten wollen die Medienhäuser interaktiv werden, jetzt müssen sie es: Das Internet demokratisiert die Medienlandschaft, weil alle mitmachen dürfen. Jeder kann jetzt Welterklärer, Netzwerker und Meinungsmacher sein. Es gibt nicht mehr „die eine Wahrheit“ aus der Tagesschau.
„Alle, die kommunizieren, schwimmen mittlerweile im selben Becken“, sagt die Kulturwissenschaftlerin Karin Schlüter. Damit wachse der Anspruch an die journalistische Qualität: „Im Internet gib es zu jedem Thema mindestens zwanzig Leute, die besser Bescheid wissen als ich.“
Die Medien müssten sich bewegen, um relevant zu bleiben. Wer die Zukunft erfinden will, muss sich die Finger schmutzig machen. Das wollen nicht alle: „Manche Journalisten sitzen 20 Jahre in einem Büro und verändern sich einfach nicht!“, meint Schlüter. Andere nehmen den Wandel an, auch wenn das bedeutet, dass sie keine klassischen Journalisten mehr sind.
Dazu gehört Jonas Bedford-Strohm: „Innovation ist zehn Prozent Kreativleistung und 90 Prozent Drecksarbeit!“, sagt auch er. Auf seiner neuen Visitenkarte beim Bayerischen Rundfunk steht „Digitale Entwicklungen und Social Media, Strategie und Innovationsmanagement“. Bedford-Strohm sagt, er hält den „echten“ Journalisten als Projektmanager den Rücken frei. Alexa-Skills, Smartphone-Apps, interaktive Karten bei Google: Informationen werden heute auf ständig neuen Wegen ins Netz gestellt. Dabei hoffen alle, dass sie den Nerv der User treffen – ein ständiger Wettbewerb um die Aufmerksamkeit. Denn Relevanz ist die Währung im Web.
Es wird persönlich
Die Konsumenten haben ihren Newsfeed selbst in der Hand – auch wenn nicht jeder seine Gestaltungsmöglichkeiten ausschöpft. Zum Medienmenü, das zur Auswahl steht, gehören nicht nur klassisch-journalistische Beiträge wie Texte, Fotos oder Radiobeiträge. Besonders im Service-Bereich haben Mitbewerber die Medien verdrängt: Die Abfallapp zeigt, wann die Müllabfuhr kommt. Konzertbesuche plant man bei Facebook. Selbst Skatklubs und Kleintierzüchter haben schon lange eigene Webseiten. Das sind alles Inhalte, die früher in der Lokalzeitung standen. In WhatsApp-Gruppen und anderen Chats verbreiten sich Nachrichten nicht nur schneller, sondern sind auch viel besser auf die Nutzer zugeschnitten. Bei Instagram oder in Videos kann man live verfolgen, wie das eigene sozialen Umfeld oder der Lieblings-Influencer Ereignisse wahrnimmt. Viel persönlicher als das, was sonst erst am nächsten Tag in der Zeitung gestanden hätte. So hilft der Algorithmus, den Beitrag für jeden einzelnen Leser relevanter zu machen – und vielleicht einen Platz im Newsfeed zu ergattern.